Architektur/ Stadtentwicklung

Ordos 100: „Ins Blaue fliegen, aber nicht ins Blaue planen“

Foto: Andreas Thiele
Ordos Art Museum, Foto: Maurice Weiss
Ordos Art Museum, Foto: Maurice Weiss

Inmitten der Wüsten- und Steppenlandschaft der mongolischen Stadt Ordos sind derzeit 100 Architekten aus 29 Ländern am Bau einer Siedlung der Superlative beteiligt. „Dies ist ein Projekt, dass es so nur in China geben kann“, urteilt der Künstler und Architekt Ai Weiwei, der den Masterplan zu „Ordos 100“ entwarf.

Die Vorliebe für eine eingängige Zahlensymbolik hatte der Pekinger Künstler Ai Weiwei bereits bei der letzten Documenta bewiesen, als er 1001 Chinesen nach Kassel lud, 1001 antike Stühle zu Ruheoasen in den Ausstellungsräumen gruppierte und aus 1001 Türen traditioneller Häuser die Skulptur Template bildete. Seit seiner Zusammenarbeit mit dem renommierten Schweizer Architekturbüro Herzog de Meuron am Entwurf des Pekinger Olympiastadions ist Ai Weiwei auch als Architekt bekannt. Und so verwundert es wenig, dass er just Herzog de Meuron mit der Auswahl der 100 Architekten betraute, die seit Anfang 2008 mit den Entwürfen von 100 Einfamilienhäusern beschäftigt sind.

Kunst und Konzerte statt Kohle und Kaschmir

Die zukünftige Ansammlung globaler Wohnkultur ist lediglich ein Baustein des Mammutvorhabens „Ordos Jiang Yuan Cultural and Creative Industrial Park“. Bereits im August 2007 eröffnete auf dem insgesamt 1.460.000 Hektar großen Areal das Ordos Art Museum, entworfen von der jungen chinesischen Architektin Xu Tiantian. Angelehnt an das Aussehen einer Viper, schlängelt sich der modernistische Bau durch den Wüstensand. Die Eröffnungsausstellung kuratierten der Berliner Galerist Alexander Ochs und seine chinesische Partnerin Tian Yuan. Entsprechend der internationalen Ausrichtung des Ortes brachten sie Werke renommierter westlicher Künstler wie Immendorf und Andy Warhol mit chinesischen und mongolischen Zeitgenossen zusammen. Bis zum 18.12.2008 ist hier Post an Ordos von Günther Ücker zu sehen. Ein Museum für Gegenwartskunst zum Startschuss des Projektes zu machen, hatte durchaus Signalwirkung, denn der Initiator des Bauvorhabens ist der Unternehmer und Kunstsammler Cai Jiang. „Das Ordos Art Museum markiert das neue Profil der Stadt Ordos“, so Cai. „Ich will ein Pendant zum nahegelegenen Baotou schaffen, einem der wichtigsten Industriestandorte Chinas. Ordos soll Besucher aus aller Welt anziehen.“

Bisher war die Innere Mongolei bekannt für ihren Reichtum an Kohle, Erdgas und Kaschmir, ein weiteres Museum diesmal allerdings für traditionelle chinesische Malerei – und ein Konzerthaus sollen nun dafür sorgen, dass die Autonome Region in Zukunft auch ihren „Eintrag auf der ‚Landkarte der Kunst und Kultur’ findet“, so Cai Jiang. Für 2012 ist zudem die Fertigstellung von Appartement- und Bürogebäuden, Schulen, Kindergärten und Grünanlagen vorgesehen. Respekt vor diesem planerischen Wagnis! Möglicherweise sind es Retortenstädte wie Ordos, die den Lebensvorstellungen der rasch wachsenden Zahl wohlhabender Chinesen entsprechen. Immerhin gibt das chinesische Ministerium für zivile Angelegenheiten die Zahl der im Zeitraum von 2001 bis 2020 neu entstehenden Städte mit 400 an. Fraglich ist bei der Dominanz ausländischer Architekten im Falle von „Ordos 100“ allerdings, wie sich an einem ästhetisch so fremdbestimmten Ort ein Heimatgefühl einstellen kann. Auf der Liste für die geplante Siedlung z.B. taucht kein einziges Büro aus China auf. 46 Architekten kommen aus Europa (4 aus Deutschland), 39 aus Nord- und Südamerika, 13 aus Asien, 2 aus Afrika. Die Nachfrage bei Ai Weiweis Pekinger Planungsbüro Fake-Design ergibt: „Die Auswahl der Architekten liegt bei Herzog & de Meuron, hierfür sind wir nicht verantwortlich.“

Ordos 100 – gewagtes Experiment

copyright: Courtesy Fake Design, Beijing
Modell des Bauvorhabens Ordos 100


„‚Ordos 100’ ist ein Experimentierfeld. Unser Motto heißt: ‚Ins Blaue fliegen, aber nicht ins Blaue planen’“, beschreibt Henning Ehrhardt (geb. 1966) von „Bottega + Ehrhard Architekten“ aus Stuttgart seine Grundhaltung zum Projekt. „Wir möchten eine kommunikative Architektur schaffen, d.h. sowohl in der Formensprache, als auch im Detail auf die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner reagieren.“ Der Berliner Architekt Andreas Thiele (Jahrgang 1971) schließt sich dieser dialogischen Herangehensweise an. „Man muss sehr aufpassen, dass dieses Zusammentreffen unterschiedlichster Stile nicht zu einem Jahrmarkt der Eitelkeiten führt“, gibt er zu bedenken. Thiele, der für dieses Projekt mit Ines Geisler-Weizman aus London zusammenarbeitet, gehört zur zweiten Gruppe von Architekten, die an dem Bauvorhaben „Ordos 100“ teilnehmen. Die Ortsbegehung und Planungssitzung für Thiele, Geisler und rund 70 weitere Architekten Mitte April 2008 statt. „Der Masterplan von Ai Weiwei gibt der Anlage einen nahezu poetischen Charakter. Die Wege zwischen den Baugrundstücken sind bereits angelegt, die ersten Bäume gepflanzt und die Höhenvorgaben der Häuser sorgen dafür, dass sich die einzelnen Gebäude harmonisch in die Landschaft einfügen.“ Auch ein Profil der künftigen Bewohner wurde den Architekten mit auf den Weg gegeben. Allein der veranschlagte Kaufpreis von 1,5 Millionen Dollar pro Villa grenzt die Zielgruppe ein. Erste Interessensbekundungen liegen bereits von Geschäftsleuten vor, die in Ordos ihren zweiten Wohnsitz planen. Von den Organisatoren festgelegt ist u.a. die Anzahl der Schlafzimmer, ein separater Wohnbereich für das Dienstpersonal und ein Swimming-Pool.

„Nun spiele ich immer wieder den Alltag durch, der sich in dem von mir zu entwerfenden Haus ereignen könnte. Ich nenne das Nutzungsszenario.“ Trotz mancher Bedenken blicken Thiele und Geisler-Weizmann ihrer ersten Zusammenarbeit mit chinesischen Auftraggebern positiv und gespannt entgegen und sind beeindruckt vom Engagement der Organisatoren. „Wichtig ist uns vor allem die ‚Kraft des Ortes’. Wir sind deshalb auch erst einmal ohne konkrete Vorstellungen nach China aufgebrochen. In der letzten Juniwoche präsentieren wir unser Modell in Ordos.“

Zeit für lange Grübeleien bleibt den beteiligten Architekten nicht. Die Anfrage von Herzog & de Meuron erreichte Thiele im März. 40 Tage bleiben nach dem zweiten Mongolei-Aufenthalt für Nachbesserungen, dann wird die Leitdetailplanung eingereicht und an einen chinesischen Ingenieur übergeben, der die Ausführungsplanung und Bauleitung übernimmt.

Vielleicht liegt genau in der Haltung, wie sie Henning Ehrhardt und Andreas Thiele an den Tag legen, die Chance von „Ordos 100“. Wenn schon keine chinesischen Architekten an diesem Dialog über das Wohnen der Zukunft in China teilnehmen, so wird es umso wichtiger sein, dass die ausländischen Gäste den Auftrag als Fragestellung an den Ort begreifen und nicht als eitle Zurschaustellung ihrer architektonischen Visitenkarte.


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Text: Ulrike Münter
Kunstkritikerin, Berlin
Übersetzung: Zheng Shanshan
Copyright: Deutsch-Chinesisches Kulturnetz
Juli 2008
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Die Inhalte in der Rubrik Architektur / Stadtentwicklung im Magazin entstehen seit Oktober 2009 in enger Zusammenarbeit mit ski - stadtkultur international ev.

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